MB Milestones - Sonderausgabe

Einheitspatentgericht: UK schafft Fakten – Fast Track, oder nicht?

Anfang 2020 hat das Vereinigte Königreich bereits klargestellt, dass es sich am Einheitspatentsystem nicht beteiligen wird. Die Beteiligung sei mit den Zielen einer unabhängigen und selbstständigen Nation nicht vereinbar.

Vorgestern (20. Juli 2020) ist die britische Regierung nun konkreter geworden: sie hat bei dem Generalsekretariat des Europäischen Rates eine Erklärung hinterlegt mit dem Inhalt, dass sie ihre Ratifizierung des Übereinkommens über ein einheitliches Patentgericht (EPGÜ) und des Protokolls zum Übereinkommen zurücknehme.

Wie jedenfalls einer Eingabe an das Unterhaus des britischen Parlaments zu entnehmen ist (hier abrufbar), sei nach Auffassung der Briten mit der Rücknahme der Ratifizierung Klarheit über den Status des Vereinigten Königreichs in Hinblick auf diese Vereinbarungen geschaffen und der Weg geebnet, dass die verbleibenden Staaten das System in Kraft setzen könnten. Es sei davon auszugehen, so heißt es in der Stellungnahme weiter, dass diese Rücknahme mit sofortiger Wirkung in Kraft trete:


“The United Kingdom considers that its withdrawals shall take effect immediately and that it will be for the remaining participating states to decide the future of the Unified Patent Court system"


Über die genauen Beweggründe, diese Erklärung genau zum jetzigen Zeitpunkt abzugeben, kann nur spekuliert werden. Bestenfalls möchte die Britische Regierung tatsächlich Fakten schaffen und sich selbst sowie dem einheitlichen Patentsystem einen weiteren Stein aus dem Weg räumen. Das am liebsten sofort.
 

Ist das wirklich so? Und falls ja, kann das so schnell gehen?

Eins ist klar: Das EPGÜ ist noch nicht in Kraft. Erforderlich hierfür ist die Ratifizierung von mindestens 13 Mitgliedsstaaten, wozu auch die 3 Staaten gehören müssen, in denen es im Jahr vor der Unterzeichnung des EPGÜ die meisten europäischen Patente gab (das waren Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich). Insgesamt 16 EU-Staaten haben das Übereinkommen bis heute ratifiziert, darunter Frankreich und das Vereinigte Königreich. Die Ratifizierung in Deutschland ist bekanntermaßen durch eine Verfassungsbeschwerde verzögert worden. Mittlerweile liegt ein Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) für ein Gesetz zum EPGÜ („Ratifizierungsgesetz“) vor; ein nächster Ratifizierungsversuch ist damit sehr wahrscheinlich.

Gleichzeitig enthält das EPGÜ keine Bestimmungen, die den Ausstieg einer Vertragspartei regeln würden. Insoweit ist wohl ein Rückgriff auf Völkerrecht und zwar maßgeblich die Wiener Vertragsrechtskonvention notwendig. In der Diskussion stehen hier u.a. die Art. 25, 31, 54 und 56. Besondere Relevanz kommt hierbei den Art. 54 und 56 zu, die die Kündigung völkerrechtlicher Verträge regeln. Gemäß Art. 54 Abs. 2 ist eine Kündigung jederzeit möglich, wenn alle Vertragsparteien nach ihrer Konsultation durch den Kündigenden dem Austritt zustimmen. Gemäß Art. 56 Abs. 2, der insbesondere die Situation regelt, dass der zu beendende Vertrag – wie das EPGÜ – keine Bestimmung über die Beendigung enthält, ist die Absicht einen solchen Vertrag zu kündigen, mindestens zwölf Monate im Voraus mitzuteilen. „Immediately“, wie im Unterhaus ausdrücklich angekündigt, ist das in jedem dieser Fälle jedenfalls nicht.

Für den Fortgang des Einheitspatentsystems ist es aber insgesamt wohl zu begrüßen, dass das Vereinigte Königreich diesen Vorstoß von sich aus erklärt und das zu einem Zeitpunkt, an dem noch keine Ratifizierung durch Deutschland vorliegt. Die Unsicherheiten, die andernfalls mit der Ratifizierung durch Deutschland und die damit u. U. einhergehende Zwitterstellung des Vereinigten Königreichs im Einheitspatentsystem entstanden wären, können vermieden werden.

Mit einem erfolgreichen Austritt der Briten aus diesem System sind zwar viele Fragen offen, u.a.:  

  • Wie ist das EPGÜ, das einen Austritt eines Mitgliedsstaates nicht vorsieht, anzupassen oder ist es nur auszulegen?
  • Eng verknüpft hiermit ist die Frage, was mit der für London vorgesehenen Zentralkammer des europäischen Patentgerichts geschieht. Ob diese Frage auch allein durch Auslegung geklärt werden kann, ist zumindest fraglich.
  • Wie ist der aktuelle Gesetzesentwurf des BMJV, der gegenüber der ersten Fassung nur geringfügige Ergänzungen enthält, einzuordnen und kann dieser unverändert in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden? Zum einen geht auch dieser von der jetzt gültigen Fassung des EPGÜ aus. Zum anderen besteht nach wie vor Unsicherheit, inwieweit das Bundesverfassungsgericht die weiteren mit der Verfassungsbeschwerde gerügten Verfassungsverstöße gewürdigt hat und ob sie in dem aktuellen Entwurf ausreichend berücksichtigt sind. Hinzuweisen sei insoweit auch auf die Stellungnahmen der Bundesrechtsanwaltskammer (hier) und des Deutschen Anwaltsvereins (hier) zum Referentenentwurf.

Auch könnte man überlegen, ob dieser Vorstoß nur ein Taktieren der Briten ist, die aufgrund des deutschen Referentenentwurfes eine baldige Ratifizierung durch Deutschland und damit ein Inkrafttreten des EPGÜ befürchten. Mit Blick auf die zuvor angesprochenen, aufgrund der Erklärung der Briten nun zu lösenden Fragen, könnte es ein weiterer (durchaus tauglicher) Versuch sein, ein europäisches Einheitspatentsystem, das bei Inkrafttreten in Konkurrenz zu dem Patentstandort Vereinigtes Königreich steht, zu verzögern. Ganz von der Hand zu weisen ist das nicht.

Selbst wenn es zu weiteren Verzögerungen kommen sollte, dürfte es für das europäische Einheitspatentsystem insgesamt ein Schritt in die richtige Richtung sein. Ein einheitliches europäisches Patentgericht mit nicht europäischen Mitgliedern ist mit dem Ziel ein einheitliches, unabhängiges und selbstständiges System zu kreieren nicht vereinbar. Wir werden wieder berichten.


» Einheitspatentgericht: UK schafft Fakten – Fast Track, oder nicht? (PDF)


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Michael Munsch, Rechtsanwalt
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